Metternich by Siemann Wolfram

Metternich by Siemann Wolfram

Autor:Siemann, Wolfram
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406627378
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2014-12-09T16:00:00+00:00


10. internationale Interventionspolitik 1815–1829

Die epochal prägenden Etiketten der ‹Restauration›, der ‹Ära Metternich› oder des ‹Systems Metternich› suggerieren: Hier war ein Mann am Werk, der alle Fäden in der Hand hielt. Genau betrachtet war die internationale Politik dieser Epoche jedoch sehr viel komplizierter: Sie war gänzlich ungeeignet als Tummelfeld eines angeblichen großen Ideologen der Reaktion im Hintergrund. Denn es wird gern übersehen, dass jenseits restaurativer Tendenzen und Interventionsabsichten im Revolutionszeitalter eine gänzlich anders geartete Dynamik hervorgebrochen war. Und diese ging nicht von Österreich aus, sondern von den großen europäischen Flankenmächten Frankreich und Russland. Nach der napoleonischen Ära forcierten die europäischen Großmächte ihre frühere expansionistische Politik, geleitet vom territorial gierigen Staatenegoismus. Als Erbe der Revolution erhielt diese Politik nun jedoch auch das Kleid der nationalen Emanzipation und des Freiheitskampfes, wurde mithin ideologisch aufgeladen. Hinzu kam eine kolonialistische Komponente. Das galt für das Frankreich der Julimonarchie und Napoleons III. ebenso wie für das Zarenreich, das statt Freiheitsideologie den Kampf um den christlich-orthodoxen Glauben gegen das heidnische Osmanische Reich ausrief; auch das sollte eine Art von Befreiung legitimieren. In Übersee propagierte das British Empire die koloniale Ausweitung als Siegeszug der Freiheit, während Preußen diesen Expansionismus in das Innere Deutschlands lenkte, zunächst noch während des Wiener Kongresses in der Absicht, ganz Sachsen zu annektieren. Der preußische Kronprinz, spätere König und Deutsche Kaiser Wilhelm prägte dafür später die zugkräftige Formel der «moralischen Eroberungen in Deutschland». Dieses Projekt zielte auf das so genannte «Dritte Deutschland», das es zu überwältigen galt, und richtete sich gegen den Einfluss der Habsburgermonarchie. Metternich selbst sprach von Preußens notwendiger «Tendenz zur Verdickung». Allein Österreich, das fragile Gebilde, hatte dem Expansionismus abgesagt. Ende des 18. Jahrhunderts – im so genannten Bayerischen Erbfolgekrieg – hatte es unter Kaiser Joseph II. ja noch versucht, sich Bayerns zu bemächtigen. 1815, in der Situation der Neukonstruktion – nicht ‹Restauration› – des Reiches war vor allem Metternich die treibende Kraft, den Status quo in ausbalancierender Kräftepolitik zu verteidigen, und rechnet man das Osmanische Reich hinzu, so befanden sich diese beiden Imperien in einer analogen Zwangslage, ihre Existenz zu behaupten.

Die russische Seite folgte einem doppelten Expansionsstreben: in den ostasiatischen Raum und in den europäischen Südosten – den Balkan –, um dort ihren Einfluss zu erweitern. Die französische Politik suchte sich seit den späten 1820er Jahren nach Nordafrika und in den Mittelmeerraum hinein zu erweitern, gewissermaßen den Spuren der Ägyptenexpedition Napoleons folgend, und betrachtete Nordafrika, Italien und Spanien als ihre natürlichen Einflusssphären.

Hinzu kam das Novum, dass sich seit der Französischen Revolution Außen- und Innenpolitik nicht mehr scharf voneinander trennen ließen, sondern sich ständig wechselseitig beeinflussten. Ein revolutionärer Aufstand in einer Interessensphäre, etwa in Spanien, den Niederlanden, Belgien, Polen, Griechenland oder Italien, alarmierte die tangierten Großmächte der Pentarchie, unabhängig davon, ob diese vorgeblich ‹restaurative› oder ‹fortschrittliche› Absichten verfolgten. Tatsächlich ist die für die 1820er Jahre behauptete Unterscheidung in einen ‹fortschrittlichen› (England und Frankreich) sowie einen ‹reaktionären› Block (Russland, Österreich und Preußen) höchst fragwürdig. Denn die Interessen durchkreuzten mehrfach die vermeintlichen Lager; außerdem ignoriert die Rede von den ‹fortschrittlichen› Mächten und denen der ‹Heiligen Allianz› die überwölbenden expansionistischen Tendenzen.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.